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Magnolienblütenblätter, die leise auf das tropisch warme Wasser fallen, der würzige Duft von Räucherstäbchen aus dem Hausaltar, die mit der Abendsonne zurückweichende staubige Hitze und die letzten Gebete der buddhistischen Mönche wehen über die Stadt. Ein nicht endendes Mantra aus Glockenspielen und Trommeln aus einem verbeulten Lautsprecher gegenüber unserem Hotel verströmt die Einstimmung auf eine fremde Kultur, deren größte Tempel einen Steinwurf hinter dem Hotelpool-Rand auf ihre Entdeckung warten. Vorher treiben wir noch tiefenentspannt wie Eisberge elegisch im Wasser, das den Sonnenuntergang in sich spiegelt.
Mit dieser Stimmung erwartet uns Siem Reap und Kambodscha. Nach einem ziemlich anstrengenden Flug von Manila, mit Übernacht-Zwischenstopp in Kuala Lumpur und leidlich erholsamen Schlaf auf dem Boden einer Sports-Lounge, checken wir in unser wirklich großartiges Hotel ein, schlafen erstmal und lassen für den ersten Tag fast alles Neue und Fremde draußen vor der Tür.

 

Das Angkor Wat:

 

Am nächsten Tag sind wir dann schon wieder touristisch gefechtsbereit und fahren nach dem Frühstück mit dem Tuktuk zum berühmten Angkor Wat. Wir sind aber nicht ganz so ambitioniert wie viele andere Angkor-Touristen und wollen NICHT zum Sonnenaufgang am Seerosenteich vor dem Angkor Wat stehen um ein tolles Foto zu machen. Alleine soll man da sowieso nicht sein, seit in den gängigen Reiseführern drin steht, dass früh morgens zum Sonnenaufgang die beste Zeit für eine Besichtigung wäre. Es gibt für die nächsten Tage ein straffes Programm an Tempelbesichtigungen zu absolvieren: Tag eins machen wir die ‚kleine Tour‘ aus Angkor Wat, Bayon-Tempel und den überwucherten Ruinen von Ta Prohm. Nach einem Tag am Pool gehts dann zu den kleineren Tempelanlagen Preah Khan, Banteay Srei und zum Sonnenuntergang auf den Pyramidentempel Pre Rup. Dann müssen wir uns wieder am Pool erholen und fahren am dritten Tag mit dem Rad nach Angkor Tom und besichtigen die wichtigsten Tempel dort. Den Sonnenuntergang schauen wir uns dann wieder am Angkor Wat an.

 

Das Angkor Wat:

 

Im Angkor Wat gibt die Sara mir auch eine ganz gute Einführung in die riesigen Flachreliefs an den umlaufenden Gallerien: es wird überall wild gekämpft und die meisten Geschichten stellen historische Schlachten der Angkor-Könige dar. Die erkennt man im Gemetzel immer daran, dass Lakaien ihnen dutzende Sonnenschirme über den Kopf halten, damit sie schön im Schatten kämpfen können. Ein anderes Relief zeigt die hinduistische Schöpfungsgeschichte, die ich total irritierend finde: Götter und Dämonen wollen das unsterblich machende Ambrosia bekommen, das aber versunken in einem Urozean liegt. Wie da drankommen? Sie tun sich einfach zusammen, mit Teamwork kommt man immer ans Ziel, und wenn Gut und Böse an einem Strang ziehen, erst Recht. Und das wortwörtlich: sie benutzen den Berg Mount Meru und eine Naga-Schlange, die um den Berg gewickelt wird, und Götter und Dämonen ziehen jeweils an einem Ende der Schlange. Der Urozean wird aufgequirlt, das Wasser wird zu Milch. Nach und Nach tauchen verschiedene Gegenstände aus dem Milchozean auf und am Ende auch das Ambrosia. Dann bricht ein großer Streit zwischen Dämonen und Göttern aus, weil die Götter das Ambrosia für sich beanspruchen und den Dämonen nichts abgeben wollen – wie hinterhältig!

 

Bayon-Tempel:


Jedenfalls finden sich in Angkor wirklich überall wo man es nicht erwartet, nicht endende Reihen von Göttern und Dämonen, jeder mit der Schlange unter den Arm gepackt, an der übereifrig gezogen wird. Ein anderes typisches Motiv für die Khmer-Kultur sind die Apsara-Tänzerinnen, die damals zu Tausenden in Tempeln getanzt haben sollen.
Außerdem entsprechen die hinduistischen Göttern geweihten Tempel von ihrem Grundriss her der hinduistischen Weltsicht: In der Mitte steht das turmförmige zentrale Heiligtum, das den Berg Meru repräsentiert, umgeben von 4 Ecktürmen, die die Nebengipfel des Mount Meru darstellen. Begrenzt wird die Tempelanlage dann von einer Mauer, die die Berge am Rand der Welt darstellt, und darum wieder ein umgebenes Wasserbassin, dass den Milchozean repräsentiert.

 

Ta Prohm-Tempel:

 

Wir lernen also viel über die Geschichte und die Kultur des Khmer-Reiches. Um 1200, als London noch um die 30.000 Einwohner hatte, lebten in Angkor vermutlich schon knapp eine Million Menschen. Die riesigen, bis zu 8 Kilometer langen Wasserbassins erlaubten drei Reisernten im Jahr und das Angkor-Reich dehnte sich von Nordvietnam bis nach Malaysia aus. Mit der Versorgung der Tempel und des Hofstaats waren bis zu 100.000 Menschen gleichzeitig beschäftigt. Deshalb ist das Angkor Wat bis heute die größte Tempelanlage der Welt. Nach etwa 500 Jahren aber ging alles schief für die Khmer: Vietnamesen und Thais aus dem aufstrebenden Ayuthaya-Königreich besetzten Kambodscha und bis zur Unabhängigkeit 1953 wurde das Khmer-Reich, das übrigens bis heute ein Königreich ist, von Thailand, Vietnam oder der französischen Kolonialmacht dominiert.

 

Preah Khan und Pre Rup-Tempel:

 

In Angkor erweitern wir auch unsere touristischen Kernkompetenzen in Handel und Resilienz. Kambodscha ist so arm, dass der durchschnittliche Tourist in Relation spielend leicht zum Millionär wird (1 Million Riel sind 226 Euro, die eigentliche Währung sind aber harte US-Dollar). Und für Millionäre nimmt man sich in Angkor gerne die Muße für ausführliche Verkaufsgespräche und die Zeit, zwanzig Minuten unbeirrt neben dir her zu laufen, für den Fall, dass du doch noch eine Postkarte, eine Flasche Wasser oder einen schicken Wickelrock kaufen möchtest. Übel nehmen kann man das ganz sicher niemandem und dahinter steht eine sehr ernste Frage ohne einfache Antwort. Das Durchschnittseinkommen liegt in Kambodscha bei 70 Dollar im Monat. Aber sollen Kinder hier wirklich als erstes im Leben lernen, dass alle guten Gaben von den blassen, riesigen Westlern kommen, die sie nur rausrücken, wenn man große Kulleraugen macht? Der Reiseführer sagt dazu eindeutig nein, also übe ich mich erstmal in Resilienz. Am Osttor des Preah Khan Tempels warten schon Scharen von Kindern mit Postkarten und Wasserflaschen auf uns. Alles kostet einen Dollar, die kleinste Geldeinheit mit der sich die meisten Touristen ernsthaft befassen und demnach ein halber durchschnittlicher Tagesverdienst. Nachdem wir neues Wasser gekauft und fast alle andern abgeschüttelt haben, läuft uns nur noch ein kleines Mädchen hinterher, das uns die üblichen 10 Postkarten für einen Dollar verkaufen will. Man kann alle Verkäufer in Angkor einfach stur ignorieren, aber das finde ich einfach unmenschlich und auf das mantraartige Buy me a Postcard, ten for one Dollar, sage ich sorry, no thanks und sie packt ganz nett geschnitzte Bambusflöten aus. Eine für einen Dollar. Leider kein Kaufinteresse unsererseits und wir gehen weiter. Das Mantra geht weiter, aber schon nach fünf Minuten schlägt die Inflation zu und die Preise purzeln auf zwei Flöten für einen Dollar. Nach zehn Minuten konsequentem ignorieren gibts schon drei Flöten für einen Dollar und ich werde nachdenklich: was, wenn ich am Ende fünf Flöten für einen Dollar bekommen kann? Habe ich noch genug Platz im Rucksack? Und wem werde ich zu Hause eine davon als Andenken schenken? Ich beratschlage mich schon mit Sara, aber bei vier Flöten scheint der break-even-point des kleinen Mädchens schon unterschritten zu sein: leider keiner von euch wird eine wunderschöne handgeschnitzte Bambusflöte aus Angkor mitgebracht bekommen.

 

Tempel in Angkor Thom und Sonnenuntergang am Angkor Wat:

 

Zum Mittagessen gehts zu einem Restaurant, das uns unser Tuktuk-Fahrer empfiehlt und das aus zwei sicherlich gleich wichtigen Bereichen besteht: einem Touri-Restaurant mit einigermaßen billigem Essen zu einigermaßen überteuerten Preisen und einem schattigen Hängematten-Paradies, in dem sich die Tuktuk-Fahrer tummeln und sich an einem gut gekühlten, sicher kostenfreien Bier erfrischen, während ihre Gäste essen. Wir überlegen nach dem Essen noch, uns auch in die nächste Hängematte zu hauen, aber ein Blick auf die Uhr und in den Reiseführer zeigt, dass die Touristen sich solchen Luxus nicht leisten können.

Am Srah Srang-Wasserbecken, dem Königlichen Bad hinter dem Banteay Kdey-Tempel, sitzen wir dann am Nachmittag am Ufer und trinken Kaffee. Es gibt wiedermal tolle Postkarten zu kaufen, von denen wir keine kaufen werden. Und auf das Mantra des 6-jährigen Mädchens, buy a postcard, 10 for one Dollar. Come on Lady! have a look (mit anschließendem lauten Durchzählen der 10 Postkarten) singen wir unser Mantra: No, thanks, sorry. Aus Langeweile bleibt sie bei uns und singt auch weiter ihren Text. Irgendwann wird uns auch langweilig und ich frage: Do you give us one postcard for free? Sie zieht gespielt enttäuscht die Stirn in Falten und sagt: Noooo! ich frage weiter: Do you give us two Postcards for Free? Sie wieder: Noooo! und schüttelt wild mit dem Kopf. Nach fünf Postkarten ändere ich verdeckt die Strategie und frage: Do you give us five Postcards for one Dollar? Sie wieder: Nooo! Five Postcards for two Dollars? wieder leider kein Geschäft für uns. Dann springe ich unvermittelt auf 5 Postkarten für zwanzig Dollar. Sie muss kurz Nachdenken, freut sich dann riesengroß und sagt freudestrahlend: YEESSS! Wir lachen alle und gehen alle drei ohne gekaufte Postkarten, aber mit besserer Laune unserer Wege.

Den letzten Tag in Angkor sind wir per Fahrrad unterwegs, was auf dem 8 Kilometer langen hinweg ganz gut läuft. Dann sind beide Räder und schnell auch unsere Nerven unrettbar platt. Vorher haben wir zwar schon zwei Typen auf einem Fahrrad fahren sehen, von denen der hintere ein zweites auf dem Schoß vor sich hatte. Wir nehmen trotzdem lieber das Tuktuk nach Hause in die wir uns grade so mit unseren Fahrrädern zusammen reinzwängen können.

 

Reise nach Kambodscha und Siem Reap:

Siem Reap an sich ist auch schon eine Sehenswürdigkeit: klein, schrill und zugestopft mit Massagesalons, in denen abends in nicht endenden Reihen den Touristen, in Sesseln aufgebahrt, die tagsüber plattgelaufenen Füße wieder reanimiert werden. Der Verkehr aus Tuktuks und Rollern schiebt sich unaufhörlich durch die von den Nachtmärkten und Straßenstand-Rikschas hell erleuchteten Straßen. Mit Mango-Shake und Spenden-Kleingeld für die Landminen-Bands bewaffnet gehts durch die Marktstände. Zwei Abende hintereinander schauen wir uns im Temple Club die ziemlich tolle Vorführung von traditionell kambodschanischen Apsara-Tänzen an. Von oben hat man außerdem einen großartigen Ausblick auf das Chaos aus Touristen und Feierwütigen in der berüchtigten Pub Street. Und zum ersten Mal auf unserer Reise gibts auch das echte, super leckere, von so vielen Unterwegs bereits absolut in den Himmel gelobte asiatische Essen! Jeden Tag, morgens, mittags und abends! Für 2 Dollar fünfzig!

 

Peter