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Zuerst fest eingeplant, dann aus Zeitmangel gestrichen und dann spontan umentschieden – sind wir doch noch in Battambang gelandet.

Von Siem Reap aus fahren wir mit dem Boot zuerst ein Stück über den Tonle Sap See und dann durch eine spektakuläre Flusslandschaft den Sangker entlang bis Battambang. Die komplette Gegend wird zur Regenzeit vom sich ausbreitenden Tonle Sap-See überschwemmt, in der Trockenzeit aber sinkt der Wasserspiegel so radikal ab, dass sich die Stromrichtung des Tonle Sap-Flusses umkehrt und Wasser aus dem stomabwärts liegenden Mekong in umgekehrter Richtung in den Tonle Sap See fließt. Der Wasserstand schwankt um bis zu 10 Meter, deshalb gibt es hier hauptsächlich schwimmende Dörfer oder Häuser, die auf hohen Stelzen gebaut sind. Auf dem Tonle Sap passieren wir außerdem die schwimmende Stadt Chong Khneas. Im Fluss zwängt sich das Boot dann erstmal durch einen nur 3 Meter breiten Kanal inmitten der noch etwas überschwemmten Buschlandschaft. Dichte Teppiche aus Seerosen säumen das kaum auszumachende Ufer. Wir durchfahren einige der schwimmenden Dörfer und sehen sehr viel vom lokalen Alltag: überall wird gefischt mittels riesiger Köcher-Kräne, die hinter trichterförmigen Absperrungen auf Beute lauern, oder per aus Booten ausgeworfenen Netzen. Ein Drittel aller in Kambodscha gegessenen Fische kommen aus dem Tonle Sap See und seiner direkten Umgebung. Je weiter wir ins Hinterland kommen, desto niedriger werden die Stelzen der Häuser und die Menschen wohnen mehr in Booten statt schwimmenden Häusern. Alle Kinder am Ufer winken dem Boot mit den riesenhaften blassen Leuten frenetisch zu (es sind fast nur westliche Touristen an Bord) und je näher wir Richtung Battambang kommen, desto größer werden die Müllberge, in denen die Kinder stehen; und desto ärmlicher werden die Hütten der Leute. Trotzdem, vielleicht weil die Sonne so schön scheint, haben alle am Ufer gute Laune.

 

In Battambang angekommen, weicht die gute Laune etwas wichtigeren Angelegenheiten: es geht ums Geschäft! Das ganze Boot wird von einem guten dutzend hilfsbereiter Menschen Willkommen geheißen, die mir noch auf der Treppe zum Ufer hinauf ein dutzend Schilder mit den besten, preiswertesten und ihrem Schwager gehörenden Hotels direkt vor die Nase halten. Aber wir haben leider schon vorgebucht. Macht nichts, denn auch auf der Treppe, auch mit einem dutzend Schildern in der Hand und direkt vor meinen Augen, redet ja auch ein dutzend Tuktuk-Fahrer auf mich ein, die wissen wollen, in welchem Hotel wir denn wohnen um uns umgehend für nur einen halben Dollar dorthin zu fahren. Ich sage jedem, ich muss erstmal die Treppe hier hochlaufen und oben im Reiseführer nachschauen, und hoffe, mir so etwas Zeit erschlichen zu haben. Falsch gedacht, tatsächlich habe ich IHNEN damit Zeit verschafft und als ich oben endlich den Reiseführer in der Hand habe, bin ich umringt von 7-8 Tuktuk-Fahrern, die brennend auf meine Antwort warten. Es geht ins Ganesha Family Guesthouse und alle schreien wieder: für einen halben Dollar! und einer sogar: with me it’s for free and I have free Wifi in my Tuktuk!!! Wlan im Tuktuk?! Nicht schlecht, aber nichts ist umsonst auf der Welt und um noch etwas zu verhandeln, frage ich in die Runde: ok, Who’s in for 1000 Riel? (das ist ein viertel Dollar). Einer schreit: Me!, krallt sich ohne Umschweife Saras Rucksack und marschiert damit los. Wir zwei also hinterher und nach fünfhundert Metern Fahrt, einem ausführlichen Blick in einen Ordner mit dem lokalen Tourenangebot und dem üblichen, etwas verlogenen SmallTalk, woher wir kommen und wie lange wir bleiben, sind wir da. Aus Nettigkeit, weil wir nicht sofort eine Tour mit ihm ausgemacht haben, lasse ich mir noch seine Telefonnummer geben, falls wir die nächsten Tage ein Tuktuk brauchen. Leider brauchen wir aber gar kein Tuktuk, sondern wollen Fahrräder leihen und damit überrall hinfahren.

 

Mit einer Mitreisenden aus Pakistan besuchen wir abends eine Vorstellung des ziemlich berühmten Phare Ponleu Selpak-Zirkus aus Battambang. Eigentlich ist das eine ziemlich große Schule für benachteiligte Kinder aus der Gegend, die zuerst von französischen Entwicklungshelfern gegründet wurde, um Kindern mit Kriegstraumata aus der Khmer-Rouge-Zeit durch Musikmachen und Malen zu helfen. Später kam dann zur Kunst- und zur Musikklasse noch die Akrobatik-Abteilung dazu und heute ist der Zirkus international bekannt. Wir schauen uns noch eine ganz nette Ausstellung mit Werken aus der Schule an und dann geht die Vorstellung auch schon los. Zuerst gibts wieder einen traditionellen Apsara-Tanz, anschließend eine etwa anderthalbstündige, beeindruckende und auch ziemlich lustige Akrobatik-Show. Dazu wird von einer Musik-Klasse der Schule wild auf traditionellen Xylophonen gespielt. Anschließend gehen wir noch auf ein Bier in die Bar neben dem Hotel und haben so einen ganz netten Abend.

Zwischendurch finden wir auch heraus, wie die örtliche Tuktuk-Mafia funktioniert: jeder Fahrer am Bootssteg bekommt einen Touristen ab, dem er für die nächsten Tage soviele Fahrten wie möglich zu den gängigen Sehenswürdigkeiten aufschwatzt. Du bezahlst nicht nur die Hin- und Rückfahrt zum Tempel, sondern auch die Wartezeit für das Tuktuk, denn an den Sehenswürdigkeiten gibts natürlich kein einzelnes Tuktuk nur für den Rückweg. Für den Fahrer muss das wohl großartig sein: vier Fahrten am Tag, viel Mittagsschlaf in der Zwischenzeit und trotzdem wahrscheinlich einen ganzen Tagesumsatz verdienen. Am nächsten Tag sitzen wir morgens beim Frühstück vor unserem Hotel und ich schaue über die Straße, da steht, es kann kein Zufall sein, unser Tuktuk-Fahrer von gestern und winkt mir fröhlich zu. Ich winke trocken zurück und stopfe weiter Pfannkuchen in mich hinein. Als wir zum Fahrradverleih rübergehen und er wissen will, wo wir heute überall hinfahren möchten, muss ich ihn mit unseren gemieteten Rädern leider schwer enttäuschen. Tief getroffen und mit hängendem Kopf murmelt er noch: no job for me today.

 

Dann schwingen wir uns auf die Räder und mühen uns durch den irrlichternden Verkehr Battambangs in Richtung unserer ersten Sehenswürdigkeit: Phnom Sampeau. Der spektakulär auf einer hohen Karstklippe gelegene Tempelkomplex liegt schweißtreibende 12 Kilometer weit außerhalb und mitsamt den Fahrrädern gehts zuletzt noch den steilen 150 Meter hohen Berg zu Fuß hoch. Die Aussicht über eine weite Ebene aus Reisfeldern und steile Karstberge weiter im Westen ist ganz nett, aber wirklich spannend sind die wilden Makaken-Affen, die sich vor den Tempeln gegenseitig lausen und eine tiefe Karst-Schlucht, über der die buddhistischen Tempel errichtet sind. Die Mönche scheinen hier ein ziemlich ruhiges Dasein zu führen. Nur zwei rostige alte Artillerie-Geschütze deutscher Fabrikation weisen noch auf die mörderische Vergangenheit des Bergs hin. Die Kanonen weisen westwärts auf den Phnom Krapeu, einer ehemaligen Hochburg der Roten Khmer. Unter dem zweiten Berg neben den Tempeln liegt außerdem die Killing Cave of Phnom Sampeau, in die die Roten Khmer ihre Opfer über eine Felsspalte in den Tod warfen.

Wir essen am Fuss des Bergs noch zu Mittag, lernen die netten Restaurantbesitzer etwas kennen (normale Kambodschaner lernen total gerne fremde Leute kennen und wollen unbedingt irgendwas in deiner Sprache sagen können!!) und fahren dann zu unserem zweiten Tagesziel: dem berühmten kambodschanischen Bambuszug. Der sogenannte ‚Norry‘ ist nichts weiter als ein Holzrahmen mit Bambusbrettern drauf, der auf zwei kugelgelagerte Achsen gestellt wird und mithilfe eines ausgebauten Moped-Motors über ziemlich antike, verstellte Gleise rumpelt. Die Eisenbahnstrecke ist wohl noch aus der französischen Kolonialzeit übrig. Nachdem die Franzosen mitsamt Lok und Waggons das Land verlassen haben, haben die kambodschanischen Reisbauern sich dieses kleine Gefährt für das Schienennetz gebaut. Eine Norry kann immerhin bis zu 15 Personen oder drei Tonnen Reis befördern. Die Fahrt geht also 7 Kilometer weit durch die umliegenden Reisfelder und mit jedem Ende der unverschweißten Schienen springt der Norry mit einem mehr oder weniger heftigen Stoß hin und her. Am Ende der Strecke gibts natürlich Verkaufsstände und eine eiskalte Cola für uns, dann wird der ganze Bambusrahmen von den Schienen gehoben und umgedreht, wieder auf die beiden Achsen gesetzt und die Fahrt geht wieder zurück.

 

Am letzten Abend machen wir noch obskure Bekanntschaft mit bettelnden Kindern, auf höchst unterschiedliche und irgendwie verstörende Weise: Wir sitzen vor einem Restaurant auf der Straße und essen zu Abend, als vom Nebentisch ein vielleicht 10 Jahre altes Mädchen in Schuluniform zu uns rüber kommt und fragt, ob wir Englisch sprechen. Als nächstes macht sie der Sara Komplimente, dass sie so groß und so schön sei und will wissen, ob wir verheiratet sind oder grade ein Date haben. Dann stellt sie sich vor, fragt nach unseren Namen und wo wir herkommen. In fließendem Englisch, aber mit etwas auswendig gelertem Tonfall. Als nächstes geht es darum, wie lange wir in Battambang sind und, uh-oh, ob wir morgen schon was vorhaben. Ich sage, dass wir morgen schon weiterreisen und sie meint, vielleicht haben wir ja heute abend noch ein paar Stunden oder wenigstens Minuten Zeit für sie. Wir sind ganz schön verdutzt und nachdem ich sage, dass wir leider keine Zeit haben, muss sie leider schon wieder zu ihrem Tisch zurück, wo ihr Vater, oder sonstwer auf sie wartet. Mir fallen erstmal nur die Waisenhäuser ein, in denen ein vielfaches an Kindern vorzufinden ist, als es Waisen in Kambodscha gibt, und die es nur gibt um Touristen um Spenden zu erleichtern. Aber welches 10-jährige Waisenkind geht abends im 3-Dollar-Restaurant essen?
Das zweite bettelnde Kind steht etwa zehn Minuten später unvermittelt, stumm und dreckig an unserem Tisch und schaut von unten mit riesigen Kulleraugen wie der Osterhase persönlich zu mir hoch. Der Knirps ist vielleicht grademal 5 und während ich überlege, ob er jetzt einen Dollar von mir will oder ob ich ihm einfach einen Löffel Reis in den Mund schieben soll, wird er von der Bedienung weggejagt. Letztes obskures Highlight dieses Abends: Auf der Speisekarte gibts Chili con Carne – mit Chicken, Beef oder Frog!

 

Peter.