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Hello, buy something! Das hört man ständig in Vietnam. Bevor wir persönlich im kommunistischen Bruderstaat mit dem guten Essen und der atemberaubenden Landschaft ankommen, haben wir von andern Reisenden schon so viele abschreckende und verstörende Geschichten über den Umgang mit Touristen gehört, dass Sara und ich bei unserer Einreise bereits total verunsichert sind.
Im Allgemeinen müssen Menschen Atmen, Essen und Schlafen; Vietnamesen müssen zuallererst Verkaufen und dann kommt Atmen, Essen und Schlafen. Wie in scheinbar jedem sozialistischen Staat, dreht sich alles, zehnmal schneller und hundertmal hartnäckiger, ums Geld. Aber kann man es jemandem wirklich übelnehmen, wenn man sich anschaut, unter welchen Bedingungen die Menschen in Ho-Chi-Minh-Stadt leben müssen? Die mit Millionen von Motorrollern verstopften Straßen, Frühsport in gepflegten Parks, die gigantomanisch übertriebene Weihnachtsdeko auf den Boulevards, bunt beleuchtete Wolkenkratzer und kosmopolitische Attitüde und dann erst die mit westlichen Boutiquen und Fastfoodketten vollgestopften Malls, in denen man sich tagelang verlaufen kann! Moment mal – hier ist ja alles schöner und glitzernder als in Sydney! Nur noch mit wunderbar schwerem asiatischen Flair aus überquellenden Nachtmärkten, würzigem Straßenstand-Essen und wildem Leuchtreklamen-Dschungel, der sich wie die Würgefeigen in Angkor an den Fassaden hochrankt. Ich bin also nach unserer Ankunft in Ho-Chi-Minh-Stadt schwer irritiert: Sieht so der real existierende Sozialismus aus oder haben wir uns nur verlaufen?

 

 

Wir suchen uns erstmal ein billiges Hotel mit Blick auf die Pham Ngu Lao Road und den irren Verkehr aus Mopeds und Reisebussen, die hier rund um die Uhr frische Touristen ausladen und anschließend wirklich alles, was man in Bussen transportieren kann, (einschließlich, äh, Motorrollern) einladen. Gegenüber gibts einen schönen Park, in dem wir erstmal abends im sozialistischen Open-Air-Theater irgendeine sozialistische Unterhaltungsshow für umsonst ansehen. Sofort kriegen wir kostenlosen Eistee gebracht und auch die Artisten sind eigentlich viel talentierter, als im Phare-Zirkus in Battambang. Dann drehen wir noch eine Runde durch das Backpacker-Viertel, in dem wir wohnen: Bars, Hotels, Reiseagenturen und Massagesalons, alle Straßen runter und alle Gebäude hoch bis unters Dach. Alles leuchtet schrill und taghell unter der wuchernden Leuchtreklame und jeden Meter wirst du in den nächsten Laden gezerrt. Uns macht das schon längst nichts mehr aus, auch wenn Vietnamesen tatsächlich hartnäckige Verkäufer sind. Aber niemand ist unfreundlich oder so und wir checken schonmal die Preise für Essen und Massagen aus. Das Nachtleben um unser Hotel herum ist ziemlich ausufernd und die Stimmung super. Auf der Straße werden vor Bars aus riesigen Bauklötzen Jenga-Türme gebaut. Im Park spielen Vietnamesen Sepak Takraw, das asiatische Ballspiel mit Netz und geflochtenem Ball. Von überall dröhnen Musik und Essensdüfte, alles im grellen Licht der Mopeds und Leuchtreklame. Millionen Menschen sind unterwegs – an einem Montagabend.

 

Am nächsten Tag gehts dann auf zu den Sehenswürdigkeiten Saigons: wir schauen uns die wichtigsten Plätze und Kirchen an, stehen vor dem stets milde lächelnden Ho-Chi-Minh himself, mit dem sich vor allem Brautpaare gerne fotografieren lassen, und laufen zum Saigon River. Es gibt Mittagessen in der Mall und Abendessen am Straßenimbiss. Der Straßenverkehr ist in Saigon nochmal ne Sache für sich: angeblich fährt man in Vietnam weder rechts noch links, sondern wo Platz ist. Das stimmt nicht: alle Fahren rechts, außer denen, die rechtsaußen auf der ‚kleinen Gegenspur‘ fahren. An roten Ampeln ballen sich schnell mal zweihundert Roller zusammen. In der Rush Hour sind alle großen Straßen dann restlos verstopft. Und da es in Saigon ja richtige Bürgersteige gibt (ne ziemliche Seltenheit für Asien), kann man auch da ganz gut mit dem Motorroller fahren. Über die Straße gehen funktioniert tatsächlich noch wie gewohnt asiatisch: dem ersten heranbrausenden Rollerfahrer mit festem Blick ins Gesicht schauen und dann blind einfach losgehen. Niemals stehenbleiben. Solange man sich in konstanter Geschwindigkeit durch das Gewühle bewegt, können die zwei dutzend Mopedfahrer, die auf dich zugerast kommen, einschätzen, ob sie vor oder hinter dir vorbeifahren. Wenn du aber unvermittelt stehen bleibst, durchbricht das die Erwartung der anderen Verkehrsteilnehmer und vielleicht auch deine Knochen.

Den dritten Tag wirds dann historisch spannend: wir wollen alles über den Vietnam-Krieg wissen und besichtigen dazu das War Remnants Museum. Es gibt eine großartige Ausstellung über Kriegsfotografie, von ausschließlich im Vietnam-Krieg umgekommenen Kriegsfotografen aus den USA und Nordvietnam. Außerdem gibt es erbeutete amerikanische Panzer, Hubschauber, Flugzeuge und Waffen zu besichtigen. Die Dauerausstellung über amerikanische Kriegsverbrechen und den Einsatz von Chemiewaffen ist nochmal besonders erschütternd. Aber es wird auch ziemlich deutlich, dass hier alles aus der eigenen Sicht der kommunistischen Sieger dargestellt wird: Nachdem über zwei Jahrtausende erst Chinesen, dann Franzosen, Japaner, wieder Franzosen und dann Amerikaner Vietnam besetzt, verwaltet, protegiert und gespaltet haben, ist das heutige, vereinigte kommunistische Vietnam für die Vietnamesen das Ende eines ziemlich langen Kampfes um Unabhängigkeit.

 

Für den Tag drauf gehts dann mit einer Halbtages-Tour zu den Cu-Chi-Tunneln vor den Toren Saigons. Das Tunnelnetz der Vietcong, das sich bis 200 Kilometer weit zur kambodschanischen Grenze erstreckt hatte, spielte eine entscheidende Rolle bei der Tet-Offensive im Januar 1968 und ermöglichte es dem Vietcong, völlig überraschend direkt in Saigon zuzuschlagen. Der Ausflug wird ziemlich skurril, aber auch lustig. Im Bus fragt unser Guide erstmal jeden, woher er kommt, um ‚zu wissen, wer von uns seine alten Feinde sind‘. Dann betont er fortwährend, dass wir ihn im weitverzweigten Tunnelsystem unter keinen Umständen verlieren dürfen und unbedingt zusammen bleiben müssen. Wer verlorengeht und sich verläuft, wird nach spätestens zwei Tagen tot sein. Außerdem gibt es da unten Spinnen und Schlangen. Er kann in dem Fall nurnoch unsere Botschaft verständigen, Suchen macht wenig Sinn.
Auf dem touristisch ziemlich überlaufenen Gelände hört man dann pausenlos, ganz authentisch, Gewehrsalven aus dem M16 und AK47 durch den Dschungel ballern. Einige von uns zwängen sich erstmal durch eins der originalen Eingangslöcher, was vor allem für die chinesischen Kollegen, die ja selbst wie Maschinengewehre sprechen, ein Riesenspass ist. Danach schauen wir uns Luftlöcher für die Tunnel an. Die Amerikaner konnten mit Spürhunden zuerst diese Luftlöcher aufspüren, bis die Vietcong anfingen, erbeutete US-Uniformen zu tragen und amerikanische Zigaretten zu rauchen. Als der Feind für den Spürhund dann wie sein eigenes Herrchen roch, hatten die Nordvietnamesen den perfekten Trick gefunden. Wir begutachten einige sehr fiese Fallgruben, natürlich mit Bambus-Spießen am Boden, oder solche, die reintretenden GI’s riesige Nägel durchs Bein rammen. Danach dürfen wir auf einem ziemlich lädierten amerikanischen Panzer rumklettern, der hier ‚besiegt‘ wurde.

 


Anschließend gehts zum Schießstand, wo man für ‚one Buck a Bang‘ mit dem erwähnten M16 rumballern darf. Der Lonely Planet warnt uns aber eindringlich: das damalige Standard-Gewehr der US-Armee feuert mit 700 Schuss die Minute. Für uns gibts also nur eine kalte Coca Cola. Die eigentlichen Tunnel – wir kriechen durch einen 50m langen, dunklen, stickigen Schacht der klaustrophobisch eng ist – sind dann ziemlich unspektakulär. Keine Spinnen und Schlangen und wo hätte man sich hier verlaufen sollen? – ich zweifle an der mentalen Gesundheit unseres Guides, oder vielleicht hat er einfach nur Humor. Also wieder zurück in den Bus und zurück in die Stadt. Zurückgelassen mit dem verwirrenden Eindruck, dass die Vietnamesen einen ziemlich schrägen Blick auf ihren großen historischen Sieg haben. Oder ist es doch alles nur Humor?

 

 

 

Alles in Allem bin ich ziemlich überrascht von Saigon. Und irgendwie ist es tatsächlich besser als Sydney oder Melbourne, mit einer wahnsinnig spannenden exotischen Kultur, bei der es an jeder Ecke tausend fremde überraschende Dinge zu entdecken gibt. Auch wenn die Wolkenkratzer nicht so hoch und nicht so viele sind, ist das Chaos aus Weihnachten und kommunistischen Propagandaplakaten, aus Straßengrills am Rinnstein und funkelnden Shoppingmalls viel spannender und aufregender. Wer hätte das erwartet?

 

Peter.