Von Phong Nha ist unser nächstes Ziel Luang Prabang im Norden von Laos. Unsere eigentliche Route hätte uns noch nach Hanoi und zur Cat Ba-Insel geführt, aber weil das Wetter im Norden Vietnams im Januar notorisch schlecht und unser Zeitplan knapp ist, wollen wir gleich ins sonnige Laos weiter. Phong Nha liegt irgendwo im Nirgendwo und ein Blick auf die Landkarte und Buspläne zeigt, dass man nach Luang Prabang entweder über Hanoi oder über Hué und Vientiane reisen muss. Über die Busverbindung von Hanoi nach Luang Prabang liest die Sara im Internet nur schrecklichste Berichte: 22 Stunden Fahrt können gut und gerne 38 Stunden werden, ohne Halt zum Essen, in einem vollgestopften Bus, der alle 10 Kilometer anhält und den nächsten Reissack auflädt. Journey of Hell nannte das der Verfasser. Unsere Reise von Hué nach Luang Prabang wird leider etwas unter 50 Stunden dauern.
Wir fahren also erstmal nach Hué zurück, gehen wieder ins DMZ-Hotel, bekommen diesmal Zimmer 310 statt 410 (es gibt aber keinen optischen Unterschied) und beobachten, wie die Vietnamesen auf der Straße eifrig zuerst Papier verbrennen, dann Reis opfern und dann sogar ganze Tische mit Essen bei Kerzenschein auf die Straße stellen, an denen niemand sitzt und isst, außer den Göttern selbst. Unser Plan steht fest und Tickets haben wir in der Tasche: Um 8.00 gehts los mit dem Sleeping Bus nach Vientiane, 20 Stunden. Dort wollen wir direkt weiter nach Luang Prabang um da am selben Tag noch anzukommen. Einziger Knackpunkt ist, dass wir morgens um 4 Uhr in Vientiane ankommen, natürlich eine etwas gruselige Uhrzeit, in einer fremden Stadt, in einem fremden Land, ohne Orientierung. Naja, wird schon nicht so schlimm sein, denn wer glaubt denn tatsächlich, dass der Bus da pünktlich ankommt.
Vor allem, weil der Pickup vom Hotel sich erstmal eine halbe Stunde länger Zeit lässt. Nichts ungewöhnliches. Dann fahren wir mit dem Van zu einem Hotel, wo der Bus starten soll. Wir warten nochmal eine Stunde, dann kommt tatsächlich ein Bus und dann gehts auch schon los. Wir sind heute nur vielleicht 20 Passagiere, aber die komplette hintere Hälfte des Busses ist schon bis zur Decke mit Fracht vollgestopft. Auf dem Gang sind Reissäcke gestapelt, über die man zu seinem Liegesitz läuft. Der ganze Bus gleicht einer überladenen Schmuggler-Dschunke.
Ziemlich schnell hinter der Stadt wird die Landschaft immer atemberaubender: aus sanften Hügeln werden steile Karstklippen, aus Tälern tiefe Schluchten, die Straße schlängelt sich in Serpentinen die Bergkämme empor. Der Bus wird langsamer und langsamer und irgendwann fällt auf, dass wir ziemlich oft kurz mal anhalten. Es werden aber keine Reissäcke eingeladen, sondern zwei unserer fünfköpfigen (!!!) Bus-Mannschaft springen mit dem Werkzeugkoffer raus und ich ahne schon, wie das alles noch enden wird: niemals so wie geplant. Mehr als 10 Km/h sind irgendwann nicht mehr drin, obwohl die Straße kein bisschen mehr bergauf geht. Dann halten wir an einer Art Rastplatz vor der Grenze. Wir steigen aus und entsetzt schaue ich zu, wie einer der Bus-Jungs vor der Motorklappe am Bus steht und mit einem Gartenschlauch den kompletten Motor wässert. Ich denke schon: Endstation, aber auf der anderen Seite macht sich die restliche Busbesatzung unverdrossen dran, das Dach mit weiterer Fracht vollzuladen. Der Busfahrer macht uns gestenreich (keiner von ihnen kann englisch) deutlich, dass wir an der Grenze sind und uns unsere Stempel holen sollen. Mit einem Italiener und einigen Koreanern machen wir uns auf den Weg die Straße herunter, ohne Gepäck und ohne Plan. Die netten Grenzbeamten fahren uns dann in ihrem Golf-Caddy zum Immigration Office, denn es fängt in Stöhmen an zu regnen. Wir kriegen Stempel und Visa, alles sieht korrekt und vollständig aus und das alles zum offiziellen Preis!
Dann warten wir angespannt auf den Bus. Wird er über die Grenze kommen? Und in welchem Zustand? Nach grademal drei Stunden ist es soweit, der selbe alte Bus taucht hinter dem Schlagbaum auf, mit nochmal 10 Kubikmetern weiterer Fracht auf dem Dach. Beim Einsteigen hat der Bus so extreme Schlagseite, als würde er umkippen, wenn sich zuviele auf die falsche Seite setzen. Aber die Fahrt geht weiter, irgendwie sogar schneller als vorher, alle Motorprobleme scheinen beseitigt zu sein. Stattdessen kommt in jeder Kurve die altbekannte Todesangst aus Südamerika wieder auf, weil der Bus in langen Pendelbewegungen ganz extrem von einer Seite zur andern schaukelt. Ich denke an die tonnenschwere Fracht über unseren Köpfen und an das Ende. Vielleicht wäre es schlauer gewesen, an der gottverlassenen Grenze im laotischen Mittelhochland zu bleiben. Aber dann wird die Gegend wieder flacher, der Bus fährt sanft und zielstebig geradeaus und wir schlafen abends endlich ein.
Dann hält der Bus irgendwo in der Dunkelheit an einer Polizeikontrolle. Nachdem einer der Polizisten kurz in die Ladeluke geschaut hat, bricht unvermittelt Chaos aus: Vorne an der Tür kommt es zu einem Handgemenge, die vietnamesischen Mitreisenden stürzen alle an mir vorbei zum vorderen Ende des Busses. Da schreien sich Busfahrer und Polizeibeamte wildgeworden an und schubsen sich gegenseitig aus dem Bus. Auf dem Fernseher darüber läuft der Höhepunkt eines chinesischen Actionfilms, wildes Geballer und weiteres Geschrei schallt durch den Bus. Draußen sieht die Sara, wie einer der Busfahrer verhaftet werden soll: ein Polizist hat die offenen Handschellen in der Hand, aber einer der Busleute hat seine beiden Arme gepackt, damit er sie niemandem anlegen kann. Polizisten rennen aufgeregt zu ihrem Kontrollhaus und ich hoffe inständig, nicht um ihre Waffen zu holen. Vor dem Bus steht ein junger Typ mit der Nagelsperre bereit um uns am Weiterfahren zu hindern, rollt sie aber doch noch nicht auf die Straße.
Irgendwann beruhigt sich die Szene soweit, dass vorne alle nur noch ein bisschen rumschreien, die Polizisten telefonieren aufgeregt und ich konnte zu meiner Beruhigung immernoch keine Schusswaffen entdecken. Der Drecks-Actionfilm ist auch endlich vorbei und wir atmen etwas auf. Dann scheint es kurz um Geld zu gehen, die Ladeluke wird nochmal gecheckt. Der Bus fährt einen Meter vor und sofort gibt es wieder Tumult. Das Geschrei brandet wieder etwas auf, Polizisten werden wieder aus der Bustür geschubst und der Fahrer gibt einfach Gas. Der Typ mit der Nagelsperre ist nicht mehr da um uns aufzuhalten und unter wildem Geschrei der fünf Busfahrer und einer anderen Vietnamesin brausen wir in die Nacht davon. Ich schaue mich nach hinten um: die Polizisten wollen uns nicht mit ihrem hochglanzpolierten neuen Pickup folgen. Auch als wir ne halbe Stunde später an die nächste Polizeikontrolle kommen, werden wir einfach durchgewunken und die Busbesatzung bricht anschließend in schallendes Gelächter über den offensichtlichen Sieg über die laotische Polizei (oder Korruption) aus. Ich weiß nicht, von wem ich jetzt weniger halten soll, aber es ist deutlich, dass es in diesem Bus vielleicht ganz zuletzt auch um die Beförderung von Passagieren von Vietnam nach Laos geht.
Tatsächlich, unglaublich müde, und ziemlich schlecht für uns, kommen wir, ganz wie versprochen, um 4:10 morgens in Vientiane am Busbahnhof an. Pünktlich! Das Worst-case-Szenario für uns, wer hätte nach all dem mit sowas rechnen können? Verschlafen machen Sara und ich uns mit dem Italiener aus Rom und einem Koreaner auf den Weg in die Stadt, denn es ist unmöglich, jetzt ein Busticket für die direkte Weiterfahrt aufzutreiben. Die Hauptstadt ist menschenleer und wir machen uns auf die Suche nach einem Zimmer. Alles ist entweder ausgebucht oder wahnsinnig teuer. Nachdem wir drei Stunden zwischen Mekong-Ufer, Hauptstraße und dem Bretterbuden-Viertel herumgeirrt sind, entscheiden wir uns, die beiden andern Gestrandeten zu verlassen und einfach den ganzen Tag auf den Nachtbus nach Luangprabang zu warten. Denn den Bus um 7:00 morgens haben wir natürlich während der Zimmersuche verpasst, es hätte uns sowieso keiner ein Ticket verkaufen können.
Also schlagen wir nach dem Frühstück die Zeit am Mekong-Ufer tot, sitzen stundenlang in irgendwelchen Cafes (wo ich zum ersten Mal Bubble Tea trinke!) und schleichen weiter verlottert und ungewaschen, mit unserem gesamten Gepäck auf dem Rücken durch die Straßen Vientianes. Aber das graue Wetter wird langsam besser, wir essen lecker und billig zu Abend und um 6 (nein, natürlich erst nach 7!) werden wir am Ticketkiosk vom Bus-Pickup abgeholt und zum Busbahnhof zurückgekarrt. Da gibts natürlich wieder Chaos: der eigentliche Bus fährt erst um 20:30 los, aber es gibt einen und wir finden ihn rechtzeitig. Dafür gibts diesmal, im Bus (!!) richtige Betten, für zwei Personen auf einmal. Wir kuscheln uns also richtig eng zusammen, schauen noch ein bisschen draußen den prächtig leuchtenden Sternen nach und schlafen fast bis zum nächsten Morgen durch.
Dann sind wir tatsächlich in Luangprabang, nach 46 Stunden Irrsinn.
Peter.